BLOM & BLOM

15. Juni 2013 by in INTERVIEWS

Ilpendam ist ein kleines Dorf bei Amsterdam: freundlich grüßende Menschen, saftig grüne Wiesen, Kühe, ein Kanal und ein Deich. Hier möchte man nochmal Kind sein, denken wir uns, während wir durch den Regen stapfen und nach der richtigen Hausnummer suchen. Wir klingeln und sogleich öffnen charmant lächelnd zwei blonde Jungs die Tür. Vor etwa zwei Jahren gründeten die beiden Brüder Martijn und Kamiel ihre Firma Blom&Blom und verkaufen seither die schönsten Industrielampen. Lest weiter, um zu erfahren, wie abenteuerlich sich die Suche in leerstehenden Industrieanlagen manchmal gestaltet und, wie die beiden versuchen, die Geschichte ihrer Objekte auch den neuen Besitzern mit auf den Weg zu geben.

 

VA: Was ist das Beste daran, gemeinsam mit seinem Bruder zu arbeiten?

M: Das Beste oder das Schlimmste (lacht)? Ich denke, das Beste daran, dass wir beide zusammen arbeiten ist, dass jeder von uns seinen eigenen Fokus und seine eigenen Stärken hat. Kamiel ist der Handwerker und ich bin eher der Manager.

VA: Wie habt Ihr das herausgefunden?

M: Ach, weißt Du, wir sind gemeinsam aufgewachsen (lacht).

K: Ja, aber genau das ist wahrscheinlich das Beste daran, mit dem Bruder zusammenzuarbeiten. Man kennt sich seit so langer Zeit, ist gewöhnt an einander und kennt die guten und schlechten Seiten des anderen. Wenn Du ein Unternehmen mit jemanden gründest, den Du gerade mal ein halbes Jahr kennst, und es kommt zu Schwierigkeiten, ist das ein echtes Problem.

M: Und wir sind ein halbes Jahr lang gemeinsam durch Australien und Asien gereist. Ein Jahr vorher kam die Idee von Blom&Blom auf. Wir dachten uns, wenn wir diese gemeinsame Reise durchstehen, stehen wir auch alles andere durch (lacht).

 

VA: Könnt Ihr uns ein bisschen von Eurem beruflichen Werdegang erzählen?

M: Auch der ist sehr unterschiedlich. Ich bin Architekt, habe mich nach dem Studium aber dem Management im Bereich Design und Technologie zugewandt. Daher habe ich anschließend noch Betriebswirtschaftslehre studiert. Kamiel, erzählst Du uns selbst von Dir?

K: Nachdem ich meine Ausbildung als Kameramann abgeschlossen hatte, bin ich mit vier Freunden nach Berlin gezogen und wir haben ein Startup gegründet. Eine Agentur für Websites, Videos, Animationen und Social Media Zeug.

VA: Klingt ein bisschen, als hätte Euch etwas gefehlt…

K: In dieser Zeit saß ich nur am Schreibtisch und machte diese Animationen. Es hat mir gefehlt, mit meinen Händen zu arbeiten. In jenen Tagen, es ist etwa zwei Jahre her, telefonierte ich mit Martijn, der in den Niederlanden war. Auf der einen Seite gab es in meinem Kopf diese Vintage-Idee, auf der anderen Seite hatte sich gerade eine großartige andere Möglichkeit aufgetan, mit den Jungs meiner damaligen Firma in das Unternehmen ‚Gidsy‘, einem Marktplatz für Freizeitaktivitäten, einzusteigen…

M: Es fing wirklich alles mit einem kleinem Gespräch unter Brüdern an, die sich fragten: ‚Was mache ich aus meiner Zukunft? Ich bin etwas am Zweifeln.’…

VA: Du warst also an einem ähnlichen Punkt im Leben?

M: Ja, und das war das Komische. Ich war in der Business Welt. Der logische nächste Schritt wäre gewesen, mich weiter in die Maschinerie zu begeben, Anzüge zu tragen, zu Meetings zu gehen und der ganze Mist. Zuerst sagte ich zu Kamiel, er solle das Vintage-Ding machen und wollte ihn nur in den Business-Dingen unterstützen. Aber je mehr wir über die Idee sprachen, desto mehr hatte ich das Gefühl, okay, das könnte wirklich funktionieren und eine gute Firma werden.

 

VA:  Ihr seid Niederländer. Wie habt Ihr die Gegenstände aus der ehemaligen DDR entdeckt? Kam das, weil Du in Berlin gelebt hast?

K: Ja, in Berlin gibt es all diese verlassenen Plätze und Fabriken. Für uns Niederländer ist das bemerkenswert, weil bei uns alles zugebaut ist. Ein leerstehendes Gebäude wird hier sofort renoviert oder zerstört. Wir haben begonnen diese leerstehenden Gebäude aufzusuchen, um schöne Fotos zu machen. Dabei haben wir entdeckt, dass es all diese großartigen Dinge gibt, die dort einfach herumhängen und seit mehr als zwanzig Jahren verrotten. Rostig, aber noch immer wunderschön! Zuerst nahmen wir eine Lampe mit, arbeiteten sie auf und hängten sie in unserer Wohnung auf. Freunde machten daraufhin Komplimente wie ‚ Das ist so toll‘, `Wir wollen auch so eine’– und so fing eigentlich alles an.

VA: Die Fabriken und Gebäude, die Ihr aufsucht, wurden plötzlich, oftmals über Nacht, geschlossen, nachdem die Mauer fiel. Wenn Ihr diese Hallen betretet, haltet Ihr dann ausschließlich Ausschau nach den Dingen, die Ihr sucht oder taucht man in manchen Momenten in die Tiefen der Vergangenheit ein?

M: Auf jeden Fall. Die Leidenschaft für die Lampen hat ihren Ursprung in der Faszination für diese Plätze. Manchmal sieht man Kalender hängen, die das Datum zeigen, an dem der Betrieb geschlossen wurde….

K: Ja, und man sieht, wie sich die Natur die Gebäude zurückholt. Beispielsweise liefen einmal Rehe durch eine alte Fabrik. Man gerät wirklich in die absurdesten Situationen.

VA: Hört sich aufregend an…

M: Ja, es ist eine  Art Abenteuer.

VA: Ihr nehmt Euch dann einfach, was Euch gefällt? Oder gibt es eine Menge Bürokratie, wie üblich in Deutschland?

M: Es gibt mehrere Schritte im ganzen Ablauf. Der Akt des Suchens und wieder Aufsuchens eines Ortes und herauszufinden, wer der richtige Ansprechpartner ist, um eine Erlaubnis zu bekommen, dauert in der Regel länger, als die Lampen am Ende runter zu holen. Es ist meist einfacher, wenn es  einen Besitzer gibt, als wenn die örtlichen Gemeinden zuständig sind.

VA: Und Ihr nehmt niemals einfach etwas mit? Seid ehrlich…

M: Am Anfang schon, aber auch, weil die Dinge herumlagen. Die Türen standen offen, Wände waren niedergerissen und man konnte einfach hinein laufen. Wir haben auch die Erfahrung machen müssen, dass, als wir zwei Monate später an denselben Ort zurückkehrten, alles geklaut worden war. Und es passiert sehr häufig, dass Dinge zerstört werden von Leuten, die im Gebäude herumhängen. Diese  Atmosphäre der Verlassenheit bringt Gewalt mit sich.

K: Kids mögen es einfach, Glas zu zerstören, indem sie Steine werfen. Das ist zwar seltsam, aber es übt eine Faszination aus.

M: Leider oder zum Glück werden inzwischen viele Gebäude wieder in Stand gesetzt, nachdem sie mehr als zwanzig Jahre leergestanden haben. Eine Planierraupe fährt einmal durch und alles ist zerstört. Ich habe zwar Verständnis für diese Vorgehensweise, weil es natürlich viel teurer ist, alles auseinander zu nehmen. Aber aus unserer Sicht ist es eine unglaubliche Verschwendung. Daher haben wir am Anfang auch hin und wieder was mitgehen lassen, aber wenn man eine Firma hat, macht man das dann nicht mehr. Auch wenn man die wirtschaftliche Effizienz betrachtet, ist es sinnvoller die Bemühungen da rein zu stecken eine Lizenz zu bekommen und mit Kletterseilen hinaufzusteigen.

VA: Kletterseile, das hört sich gefährlich an.

M: Ja, man muss wirklich vorsichtig sein. Wir müssen auch vorab immer Unterlagen unterschreiben, dass wir das Risiko tragen. Wir arbeiten meist mit Industriekletterern zusammen, die so erfahren sind, dass die Lampen im Nu unten sind. Außerdem mögen die Jungs auch die besondere Atmosphäre, sie können etwas Geld verdienen und wir haben eine Menge Spaß gemeinsam. Eine super Kombination.

VA: Was ist mit den Besitzern? Wollen sie sehen, was Ihr mitnehmt?

M: Das kommt wirklich immer darauf an, mit wem man es zu tun hat und wie man es verkauft. Da sind zwei verrückte niederländische Jungs, die einen weiten Weg auf sich genommen haben, nur um zu Deiner leerstehenden Fabrik zu kommen, um Dich zu fragen: „Darf ich Deinen alten Mist haben?“. Meist sind die Reaktionen dann „Okay. Aber warum?“ oder man fragt uns, ob wir uns bewusst sind, dass die Lampen alt und kaputt sind. Dann erklären wir die ganze Geschichte. Bisher haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Menschen sehr entgegenkommend sind, wenn sie merken, dass du etwas mit Leidenschaft machst. Wir sagen immer, manchmal braucht es nur zwei lächelnde Gesichter, manchmal eine Flasche Wein und ein gutes Stück holländischen Käse oder manchmal eben einen Umschlag mit Geld. So läuft`s.

VA: Ihr seid sehr darauf bedacht, die Lampen behutsam zu restaurieren. Ihr geht sogar noch weiter, sie bekommen Ausweise mit ihren persönlichen Daten. Was ist die Idee hinter diesem sensiblen Umgang?

M: Wir möchten, dass die Menschen, die Geschichte des Objekts spüren. Das geht niemals vollständig, aber durch Bilder und Beschreibungen, wo und wie ein Teil gefunden wurde, kannst Du den Wert steigern, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch historisch betrachtet. Wir lassen ja auch das Äußere der Lampe weitestgehend im Originalzustand. Wir übermalen nichts und polieren niemals ganze Objekte.

 

 VA: Wollt Ihr zeigen, dass Zeichen der Zeit schön sein können?

K: Ganz genau. Wir polieren Glas und Bakelit, denn die sind einfach schön, wenn sie sauber und glänzend sind. Das Innenleben der Lampen wird immer modernisiert. Sie sind alle sicher und angepasst an heutige Standards. Das Metall aber lassen wir rostig und auch Beulen bleiben, denn das macht den roughen Look erst aus. Wir entscheiden immer nach Gefühl, in wie weit die Lampe restauriert wird. Manche mehr, manche weniger.

VA: Das gefällt mir sehr an Eurer Philosophie. Denkt Ihr generell, dass Makellosigkeit ein falscher Wert unserer Zeit ist?

M: Mit Sicherheit.  Am Ende ist es mit allem, das Vintage ist, das Gleiche: Manche mögen es, manche nicht.

VA: Ihr gestaltet auch ganze Interieurs, von der Konzeption bis hin zur Umsetzung. Wie würdet Ihr Euren Stil beschreiben?

M: Als eine Art ‚Industrial Style“ mit einer Vorliebe für das puristische und geradlinige Design, das diesen Stil unterstreicht. Wenn wir ganze Interieurs oder Raumkonzepte designen setzen wir unsere Lampen ganz klar in den Mittelpunkt. Wir haben einen sehr klaren Blick dafür, wie eine Lampe hängen und das Kabel verlaufen sollte…

K: …und welches Kabel perfekt passt.

M: Es geht eigentlich immer um Details. Und natürlich sind wir darauf bedacht, dass es zum Kontext passt.

VA: Ihr eröffnet Eure Galerie in wenigen Tagen. In den Räumlichkeiten war ehemals  ein Schlachthaus. Eine Portion ‚Roughness‘ darfs bei Euch immer sein, richtig?

M: Ja, das stimmt. Das Schlachthaus ist ein großartiger Ort, auch, weil er perfekt zu unserem Konzept passt. Die Idee, einen Showroom zu haben, kam uns, als wir diese großartigen Räumlichkeiten gesehen haben. Wir waren eigentlich nicht auf der Suche.

K: In der Blom&Blom Gallery stellen wir unsere Objekte aus, insbesondere die Unikate. Die Räume sind direkt hier in der Nachbarschaft. Wenn Leute herkommen, bringen sie Zeit mit. Wir können Ihnen in Ruhe unsere Produkte zeigen und gemeinsam Kaffee trinken. Das ist ein großer Vorteil gegenüber einem Shop im überfüllten Amsterdam.

VA: Jetzt habt Ihr uns aber neugierig gemacht. Zeigt Ihr uns die Räume?

M: Selbstverständlich. Es sind allerdings noch einige Vorbereitungen im Gange. Gestern erst sind alle Namensschilder, die eigentlich neben den Lampen hängen sollten, von der Wand gefallen (lacht).

VA: Die Lampen haben Namen?

M: Jedes Objekt, das wir restaurieren, das hört sich jetzt etwas dramatisch an, wird ein kleiner Teil von uns. Daher bekommt jede Lampe den Namen des Tieres, dem sie ähnlich sieht.

VA: Großartig. Dann packen wir jetzt die Kamera ein und gehen in Euren Zoo…

K: Wir sind gespannt, wie es Euch gefällt.

Danke Martijn and Kamiel, dass Ihr Euch so viel Zeit genommen habt. Es war wunderbar bei Euch!